KONZERT / "Missa in Jazz": Der Kammerchor Reutlingen in der Kreuzkirche

Swingende Stimmen und röhrendes Saxofon

Mit Peter Schindlers "Missa in Jazz" feierte der Kammerchor das zehnjährige Chorleiter- Jubiläum von Christa Feige. Mit dabei: der Komponist samt "Pipes and Phones".

Wenn man's genau nimmt, traf das mit "Pipes" (Orgelpfeifen) und "Phones" (Saxofone) nur teilweise zu: Peter Schindler hat seine Jazzmesse 2001 für Chor, Orgel, Saxofone und Percussion komponiert. Nur: Die Orgel wurde durch einen Konzertflügel ersetzt, und die Akustik der Kirche war dem Klavierklang nicht sehr hold, er verschwamm und ging stellenweise fast unter. Etwas fragwürdig auch Peter Schindlers Einführung: Die Urchristen, die er anführt, kannten den Messetext der späteren katholischen Kirche noch nicht. Sie aßen mit den Armen, zur Erinnerung an Jesus, ohne Liturgie. Und dass die Worte "apostolicam ecclesiam" mit "apostolische Christenheit" statt mit "katholische Kirche" übersetzt sind, mag zwar der Grenzüberwindung dienen, nicht aber einer korrekten Darstellung. Vertont hat der Stuttgarter Komponist und Produzent das Mess-Ordinarium in ,einer originellen Stilmischung aus Jazz, mittelalterlicher Musik, Romantik und Pop; der Chor verbindet und reibt sich im Neben- und Nacheinander mit den teils improvisierten Soli des Saxofonisten untl einem durchgehenden Schlagzeug-Beat.

Ähnlich wie das "Kyrie" waren auch die andern Sätze gebaut: Der Chor beginnt a cappella, in ruhigen und archaisch-flächigen Akkorden, der Puls des Schlagzeugs (Markus Faller) tritt hinzu, die Bewegung wird rascher, Dynamik und Intensität steigern sich, virtuos improvisierte und ekstatische Saxofonsoli mischen sich ein (ein versierter Könner: Peter Lehel), man treibt mit erhöhtem Puls auf einen Kulminationspunkt zu und wird, wie im Film, am Ende, wenn alle Gefahren bestanden sind, in sanften Akkorden gewiegt. Der Kammerchor hatte keine leichte Aufgabe. Die synkopierten Rhythmen, die ungewohnten Harmonien und die Koordination mit den Instrumentalisten forderten höchstes Können, volle Konzentration und lockeres Schwingen.

Glockenhelle Soprane

Das schafften die Sänger(innen) volle neunzig Minuten lang mit Bravour und hoher Stimmkultur. Im Kontrast zum gehörig ruppig-rauen Jazz-Ensemble wurde erst richtig hörbar, wie kultiviert dieser Chor singt: gepflegt bis in die vokalen Fingerspitzen dynamisch und sprachlich ausgefeilt. Nur waren diese Feinheiten nicht immer wahrnehmbar, die instrumentalen Ekstasen übertönten sie über weite Strecken.

Dabei gelang der Chorleiterin die Koordination mit den Instrumentalisten nahezu reibungslos; lediglich der Anfang des "Gratias" - nur Chorgesang und dumpfe Trommel- wackelte ein wenig. Es war einiges geboten: glockenhelle Soprane, sensibel und genau ausgehorchte Schlüsse, eine vorüberziehende exotische Prozession ("Gratias"), ein tief verinnerlichtes "Homo factus est", ein barock-fugiertes Triumphieren im Auferstehungs gedanken ("et resurrexit" oder "et expecto"), knappe Deklamation, harte Rhythmen, gellende Saxophon-Aufschreie, aber auch Pianobar-Anklänge und plakatives Pop-Idiom, mal erregt, mal meditativ.

Etliche Füße wippten mit; die von Peter Schindler verwendete musikalische Sprache bezieht ihre Mittel einerseits aus dem großen Fundus der Vergangenheit, andererseits aus dem, was derzeit medial an populärer Musik vermittelt wird, und kommt damit dem Hörverständnis einer breiten Zuhörerschicht entgegen.

Brandete anfangs noch Spontanapplaus auf, schien die Wiederholung des annähernd gleichen Musters die Zuhörer gegen Ende doch zu ermüden. Oder gewann der religiöse Gehalt die Oberhand über die oberflächlichen musikalischen Reize? Nach dem "Agnus Dei" im Rumbaschritt und der Rückkehr zur Anfangsquint jedenfalls war Stille, dann brach gewaltiger Jubel los. Chor, Chorleiterin und Instrumentalisten wurden geradezu gefeiert, das "Gloria" diente als Zugabe.

(Susanne Eckstein)