Chormusik - Jazz-Messe mit dem Kammerchor
VON ARMIN KNAUER
REUTLINGEN. Ein Stück mitreißende geistliche Musik zwischen Blues-Feeling, afrikanischen Trommelrhythmen und klassischen Oratorienklängen hat der Reutlinger Kammerchor mit Peter Schindlers »Missa in Jazz« am vergangenen Samstagabend in der Reutlinger Kreuzkirche gestaltet. In seinem erst vor wenigen Jahren entstandenen Stück stellt der Stuttgarter Komponist dem Oratorienchor die klassische Jazzband-Besetzung Saxofon-Piano-Schlagzeug gegenüber. In Reutlingen saß er selbst am Klavier und steuerte unter anderem ein fulminantes Solo bei.
Während die lateinische Textvorlage sich mit den Teilen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei ganz auf die Überlieferung stützt, steht die Musik auf drei Beinen: Kantable A-cappella-Passagen schöpfen aus dem chromatisch gefärbten Klangspektrum der klassisch-romantischen Messkompositionen. Oft dienen sie als Einleitung, etwa im »Kyrie eleison«, um dann unvermittelt in die zweite typische Charakteristik umzuschlagen: einen von afrikanisierenden Trommelrhythmen des Schlagzeugers Markus Faller unterstützten vitalen Vorwärts-Impuls, der zuweilen etwas an Carl Orff denken lässt. Dieses hoch energetische Voranstürmen war beispielsweise im »Kyrie« oder auch gegen Ende des »Gloria« zu erleben.
Gerade an Kernstellen beruhigte sich dieser Impuls jedoch zu meditativen, ja geradezu intimen Momenten; eine musikalische Stille, in die Peter Lehel mit Sopran-, Alt- oder Tenorsaxofon, manchmal auch mit der Bassklarinette, das gewisse Gänsehaut-Feeling des Blues fließen ließ. Es ist bezeichnend für seine besondere, auf den ganz persönlichen Kontakt mit Gott und Jesus zielende Auffassung von Religiosität, wenn Komponist Schindler gerade dem Thema von Kreuzigung und Auferstehung einen solchen intimen Moment widmet.
Der Kammerchor unter seiner Leiterin Christa Feige hatte seine Stärken zunächst vor allem in den kantablen, »klassischen« A-cappella-Passagen, die rund, volltönend und glanzvoll erklangen. Die impulsiven jazzigen Passagen kamen zwar exakt, waren anfangs aber noch zu kontrolliert, beinahe gehemmt, und ließen es an Explosivität missen. Das änderte sich aber. Im Laufe der Aufführung ließen sich die Sängerinnen und Sänger mehr und mehr von dem emotionalen Spiel der Instrumentalisten mitreißen und legten die anfänglichen Hemmungen ab. Schließlich sangen die Kammerchörler wie unter Strom, und genau dieser vor Energie vibrierende Zustand, der in den Eruptionen zu Beginn des »Sanctus« schon fast ekstatische Formen annahm, zeichnet diese Messe aus.
Ein ungewöhnliches und mitreißendes Musikerlebnis also, das Christa Feige in ihrem zehnten Jahr als Dirigentin des Kammerchors ihrem Publikum bescherte. Einem Publikum im übrigen, dem seinerseits Lob gilt, weil es die Aufführung mit viel Sensibilität begleitete: Nach den impulsiven, unmittelbar begeisternden Stellen spendete es spontanen Applaus; den meditativen Teilen wiederum erhielt es die anschließende Stille. So wurden die Zuhörer zu einem mitgestaltenden Teil des Ganzen. (GEA)
Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers