Konzert - Ein Deutsches Requiem von Johannes Brahms in einer selten zu hörenden Fassung. Aufführung des Kammerchores Reutlingen unter Leitung von Christa Feige

Mehr Rhythmus. Mehr Dramatik

VON HANSDIETER WERNER ENINGEN. Was bringt es, wenn zur bekannten Fassung des Deutschen Requiems von Brahms für Klavier zu vier Händen noch drei Pauken und ein Kontrabass dazukommen und der Tastenpart auf zwei Klaviere verteilt wird? Der lange in Berlin lebende und lehrende Heinrich Poos, Schüler von Blacher und Pepping, Kantor und Organist und Komponist, Musikwissenschaftler, Philosoph und auch Mathematiker, hat diese Version erarbeitet. Für sie haben sich jetzt in der Eninger Andreaskirche Christa Feige und der von ihr seit vielen Jahren geleitete Kammerchor Reutlingen stark gemacht. Ihre Wiedergabe des Deutschen Requiems ist eine profunde Wiedergabe gewesen: Stark in der Emotion, stark in der klanglich spannungsreichen Gestaltung, stark in der Hingabe an das Werk und in der Intensität und Variabilität des Ausdrucks.

Die Pauken - hier wurde Gregor Daszko auf markante Weise aktiv - und der Kontrabass mit dem stilsicheren Fundament-Verstärker Ulrich Feige bringen mehr Nachdruck, mehr Grundlinie, mehr rhythmisches Profil, mehr Akzentuierung, manchmal auch mehr Härte und Dichte. Einen Zuwachs an sprachlicher Geste. An archaischer Kraft. Auch an unmittelbarer Schlagkraft. Was den Chor enorm fordert. Genau da wollte Christa Feige hin. Zu einer großen, ungeschönten Chorleistung. Sie ist ihr und den Sängerinnen und Sängern um sie auf eine gültige und tief bewegende Weise gelungen.

»In Gottes Hand«

Wenn die Pauken dem Chor und uns Hörern die Worte des Psalmisten »Denn alles Fleisch es ist wie Gras« einhämmern, dann ist der Schrecken der Vergänglichkeit da. Unerbittlich. Und wenn am Ende des dritten Teils der Kontrabass zu seinem langen und immer mächtigeren Orgelpunkt anhebt, dann ist das nicht nur beharrliche Steigerung, sondern auch Bestätigung dessen, dass die »gerechten Seelen« fürwahr »in Gottes Hand sind«.

Der Chor hat mit feinster Tongebung und mit einer strömenden Ausdrucksfülle von Leben und Tod und Auferstehung gesungen, von Leid und Hoffnung, Trost und Erlösung. Mit einem verklärenden pianissimo und einer weichen, liedhaft innigen Klarheit und mit einem geballten, scharf geschnittenen fortissimo. In sanften oder zupackenden Übergängen von einem milden Leuchten bis zu harter, wuchtiger Dramatik. Mit großartigen Steigerungen im sechsten Teil, der mit Spannung und Enthusiasmus und einem strahlenden Vollklang gesungen wurde. Aber nicht nur diese dramatisch und jubilatorisch aufgeladenen Abschnitte zeugten vom musikalischen und theologischen Besitz des Werkes, sondern auch die Seligpreisungen des letzten Teils, die so rasch in die Nähe des Süßlichen geraten können. Hier gelang es Christa Feige, das Ernste mit einer zarten Beschwingtheit zu verbinden.

Zwei stimmschöne Solisten, Reiner Hiby mit einem klangvoll voluminösen Bariton und Gudrun Ingimars mit einem Sopran mit Silberglanz und dezentem Vibrato, gehören ebenso zur geformten Summe dieser Aufführung wie Christiane Falk und Harald Streicher an den beiden Flügeln. Ein Duo mit genauer Abstimmung, mit Antriebskraft und großer klanglicher Spannweite. Es hat Heinrich Poos verstanden: Mehr Farbe. Mehr Kontur. (GEA)


Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers