Konzert / Kammerchor in der Stadtbibliothek
So etwas macht richtig Laune: Der Kammerchor Reutlingen verknüpfte unter Christa Feiges Leitung kesse Schlager mit gefühlvollen Volksliedern und humorvollen Texten, rezitiert von Thilo Prothmann. Und das Publikum durfte am Ende auch mitsingen.Von Susanne Eckstein.
REUTLINGEN Beim Mitmachen erst fällt auf, wie präzise der Reutlinger Kammerchor singt: Jeder und jede Einzelne akzentuiert denpunktierten und synkopierten Rhythmus von "Wochenend und Sonnenschein" fast milisekundengenau synchron; jeder noch so kleine Notenwert sitzt exakt an der richtigen Stelle. Dabei besteht der Kammerchor auch "nur" aus Laien - allerdings bestens geschulten Laien. Auch wenn Christa Feiges großzügige Dirigierbewegungen nicht danach aussehen, arbeitet sie höchst penibel mit ihrem Chor.
Der war wieder mit Spaß und Engagement bei der Sache, einer heiteren musikalisch-literarischen
Revue aus "ollen Kamellen" aus Schlagerkiste und Volksliedschatz, vermischt mit humorvollen
Texten, aufgereiht als Ausflug vom fröhlichen Aufbruch zu Badesee und Meeresstrand über eine
Rast unter Schubert/Silchers "Lindenbaum" bis zum wehmütigen Abschied mit "Muss i denn".
Glänzend aufpoliert präsentierte der gemischte Chor die Schlager der 20er bis 50er Jahre,
schwung- und stilvoll unterstützt von einer Jazz-Combo bestehend aus Christiane Falk (Klavier),
Axel Kraus (Schlagzeug) und Gerhard Ziegler (Kontrabass). Die teilweise raffiniert bis
anspruchsvoll gesetzten Arrangements verwirklichten die Sänger präzise und lustvoll, homogen
und durchsichtig im Klangbild und deutlich in der Deklamation. Mit dem flott und witzig
dargebotenen "Mein kleiner grüner Kaktus", dem Erfolgshit der Comedan Harmonists, lockerte
sich die Stimmung - schon zuvor hatte Thilo Prothmann mit Kästners "Kleine Stadt am
Sonntagmorgen" und mit Heinz Erhardts Umdeutung des "Bel ami" zur Aufforderung an den Hund
"bell, Ami!" für Schmunzeln gesorgt.
Die Kästner- und Tucholskytexte ergänzten die Schlagerserie mit gedanklichem Tiefgang, feinem
Humor und ironischer Würze. "Das Ideal" erreicht man nie, "etwas ist immer", und der Seitenhieb
auf die Macken beim "deutschen Mann" durfte nicht fehlen. Sollte man seufzen oder kichern?
Schön wieder einmal mit den Augen der alten Satiriker auf Menschlich-Allzumenschliches oder
auf badende Politiker - "die Flecke geh'n nicht ab" - zu blicken, zumal wenn die Texte
gleichzeitig einfühlsam und mit kesser Schnauze dargeboten werden wie von Thilo Prothmann.
Trotz der kleinen Besetzung teilte sich der Kammerchor auch noch in einen Frauen- und einen
Männerchor: Während die Frauen mit Schnellsprchfähigkeiten brillierten, hatten die Männer fast
noch Schwierigers zu bestehen. Es gehört nämlich Mut dazu, als Laien, nur zu zwölft und
a cappella Volksliedsätze des 19. Jahrhunderts aufzuführen. Sind Silchers "Ännchen von Tharau",
"die Loreley" oder "Muss i denn" mit dem Etikett "altmodisch" oder "kitschig" behaftet, erweist
sich auch ihre schlichte Setzweise als heikel. Doch den Männern gelang das Kunststück. Mit klarer
Höhe, solider Tiefe und geradem Ton gaben sie den romantischen Liedern das richtige Maß an
Gefühl und Intensität, ohne der drohenden Gefahr der Weinerlichkeit zu erliegen. Diese oft als
"schmalzig" verpönten Gesänge können - werden sie angemessen interpretiert - wunderschön sein,
ganz abgesehen von der ohnehin unnachahmlichen Klangfarbe der Männerstimmen.
In der Zugabe durften die Zuhörer, die schon lange heimlich mitgewippt und mitgesummt hatten,
nun endlich mitsingen.
Mit freundlicher Genehmigung der Reutlinger Nachrichten