Melodien zum Mitsummen von Herrenberger Kantorei: In "Wochenend und Sonnenschein" blasen kalte Winde und begeistern in Stadthalle

Die Lust am Singen ist deutlich spürbar

Zu einem Ausflug in die Schlagerwelt der 20er, 30er und 50er Jahre luden am Montagabend Kantorei und Jugendkantorei der Stiftskirche Herrenberg, verstärkt durch den Kammerchor Reutlingen unter der schwungvollen Leitung von Christa Feige. Ihr Ehegatte Ulrich Feige dirigierte als Dessert sechs Volkslieder für vierstimmigen Männerchor vom Tübinger Universitätsmusikdirektor Friedrich Silcher. Die musikalisch-literarische Revue wurde durch Texte von Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Heinz Erhardt vervollständigt, anregend vorgetragen von Thilo Prothmann,

VON STEFANIE BAUMANN

Betitelt war der kurzweilige Montagabend mit "Wochenend' und Sonnenschein", Letzterer ließ die Akteure jedoch im Stich, so dass statt auf der "Sommerfarben"-Bühne auf dem Marktplatz in der Stadthalle gespielt werden musste. Das Publikum strömte in Scharen und war äußerst klatschfreudig: Auftaktapplaus, starker Beifall vor der Pause, einzelne Jubelrufe und rhythmisches Erklatschen einer Zugabe zeigten die Begeisterung des Auditoriums. "Man kann fast bei allen Liedern mitsingen", rief eine Dame während der Pause entzückt aus.

Die von Friedrich Silcher für vierstimmigen Männerchor (a cappella) gesetzten Volkslieder, die vor kurzem bereits im Otto'schen Garten erklangen (der "Gäubote" berichtete), beschlossen eher besinnlich den Abend. Doch Kirchenmusikdirektor Feige holte aus den knapp 30 Sängern mit präzisen Bewegungen viel heraus. In den bekannten Melodien wurden Echostellen transparent gemacht und man hörte im "Lindenbaum" förmlich "die kalten Winde blasen", dies passte auch zum aktuellen Wetter. "Stille Wut" wurde ebenso sprechend konturiert wie die "Ruhe" der verhaltenen Partien. Weite Spannungsbögen gelangen, die Endkonsonanten wurden nicht verschluckt, der Gesamtklang war ausgeglichen.
Zuvor zeigten die Damen mitsamt der Jugendkantorei, dass sich ein reiner Frauenchor auch hören lassen kann. War bei den "süßesten Früchten" der Text wegen der Schnelligkeit nicht immer deutlich zu verstehen, drehten die Singenden bei "Mäcki war ein Seemann" richtig auf. Boogie vom Feinsten groovte durch die Stadthalle und die Sangeslust war den Ausführenden anzusehen. Keine Berührungsängste vor Schnulzen bewiesen die Frauen bei "Seemann, deine Heimat", das klanglich ausgewogen zelebriert wurde. Bei "Schuld war nur der Bossa nova" brach das Publikum in spontanen Jubel aus.
Für den richtigen Beat sorgte die souveräne Begleitcombo, bestehend aus Christiane Falk (inspirierte und einfühlsame Klavierbegleiterin), Axel Krauss am Schlagzeug und Gerhard Ziegler am Kontrabass. Sie spielten sich nie in den Vordergrund, bereicherten aber den Gesamtklang.
Thilo Prothmann, freier Schauspieler aus Berlin und ehemals an der "Reutlinger Tonne", setzte Glanzlichter durch die zum musikalischen Programm passenden Texte. Er rezitierte die "Gebrauchslyrik" (0-Ton Tucholsky) mit dem nötigen ironischen Augenzwinkern und zog das Publikum in seinen Bann. Schmunzeln erntete beispielsweise Kästners Weisheit, Frauen glichen Äpfeln, bei denen die schönsten ebenfalls nicht am besten schmeckten. Der deutsche Mann bekam von Tucholsky sein Fett ab und "Bel Ami" wurde von Heinz Erhardt zum Dobermann verwandelt.
Der musikalische "Bel Ami" schwang schön ein. Christa Feige dirigierte tänzerisch und mitreißend den großen Klangkörper, der im ersten Teil Stücke aus dem Repertoire der Comedian Harmonists zum Besten gab. Immer wieder wurden einzelne Schlagworte herausgearbeitet. Flott kam der "Kleine grüne Kaktus" daher. Bei "Musik, Musik, Musik" gelangen schöne Crescendi. Der Chor schmachtete "Liebling, mein Herz" und verkündete: "Mit Musik geht alles besser". Das nahm man den Agierenden, die sich wie jedes Jahr vom kirchenmusikalischen Terrain weg wagten, ab.
Die Leistung ist umso höher einzuschätzen wenn man bedenkt, dass erst zwei Tage vorher die "Schöpfung" in der Stiftskirche aufgeführt wurde. Es sang am Montagabend zwar nicht die gesamte Kantorei, sondern nur der Teil, der die Pfingstsingwoche in Fischbach am Bodensee mitgemacht hatte. Zudem verstärkten Mitglieder des Reutlinger Kammerchores, die das Programm unter Christa Feiges Leitung bereits vergangenen Freitag in der Reutlinger Stadtbibliothek zum Besten gegeben hatten, den Chor. Berücksichtigt man jedoch, dass es mit den drei Chören nur eine Gesamtprobe gegeben hat, muss man den Mitwirkenden großen Respekt zollen.

Mit freundlicher Genehmigung des Gäubote Herrenberg