Konzert - Mariengesänge in der Marienkirche

Momente des Mystischen

VON FREDERIK SCHNEEWEISS

REUTLINGEN. Von einer Aura des Mystischen und Geheimnisvollen umgeben ist in der christlichen Vorstellung die Jungfrau Maria, die auf wunderbare Weise schwanger wird. Und zugleich gilt die Gottesmutter als vorbildhaft Glaubende, weil sie sich auf das Unerklärbare voraussetzungslos einlässt.

Unter diesem Blickwinkel ausgewählte Mariengesänge aus verschiedenen Epochen stellte der Kammerchor Reutlingen unter der Leitung von Christa Feige am Freitagabend in der Reutlinger Marienkirche vor. Ergänzt wurde der musikalische Vortrag durch Lesungen von Texten Bertold Brechts und des Schweizer Theologen Kurt Marti: scharfsinnige, undogmatische Überlegungen, die sich gegen ein allzu vordergründig-frommes Marienverständnis aussprechen.

Behutsam näherten sich die etwa 40 Sängerinnen und Sänger dem Geheimnis des Glaubens in Morten Lauridsens zeitgenössischer Vertonung des gregorianischen Responsorials »O magnum mysterium« aus der Weihnachtsmatutin. Ständig wechselnde harmonische Farbwerte lassen den fast ununterbrochen fließenden Klang in immer neuem Licht erscheinen. Sekundreibungen erzeugen leicht zitternde Schwebungen, verwischen die Konturen zwischen den Einzeltönen. Diese kaum zu greifenden, bewusst unscharf gehaltenen Momente hob der engagiert auftretende Chor eindrücklich hervor.

Klare Deklamation

Das folgende »Alleluja« konnte sich in den hell getönten Frauenstimmen wunderbar federnd ausschwingen, gewann stetig an Intensität. Hier, wie auch im homophon angelegten Marienhymnus »Ave maris stella« greift der spanische Komponist Javier Busto auf suggestiv wiederkehrende, durch Dissonanzen angereicherte Formeln alter Musik zurück.

In den Marienliedern op. 22 von Johannes Brahms gefielen der sicher getroffene Tonfall des geistlichen Volksliedes, überraschende, dynamisch deutlich abgesetzte Übergänge sowie die sorgfältige Textbehandlung. Nicht immer genügend ausgesungen und verbunden dagegen die Viertelnoten in Max Regers »Unser lieben Frauen Traum«, sodass die romantische Linie etwas verloren ging.

Durchweg überzeugte der Kammerchor Reutlingen durch klare Deklamation und ein konzentriertes, detailgenaues Musizieren. Klangliche Transparenz und sonore Wärme - auffallend schön das Timbre der Männerstimmen - stellten hier keinen Widerspruch dar, sondern verbanden sich zu einem homogenen Klangkörper. Dirigentin Christa Feige hatte ihre Sänger bestens vorbereitet. Stets suchten diese den Blickkontakt mit ihrer Chorleiterin, folgten den eindeutig gegebenen Anweisungen ihres runden, präzisen Dirigats.

Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers