Ein Cocktail in der Bar zum Krokodil

REUTLINGEN. Locker-leichte Sommersongs mit Combo bot der Reutlinger Kammerchor unter Christa Feiger. Jazz, Swing, Schlager brachten die Zuhörer in Stimmung.

Ein Kammerchor kann musikalisch in Urlaub gehen - indem er Ferien macht von Oratorium und Motette und einen Ausflug macht ins Reich der U-Musik. Genau dies tat der Reutlinger Kammerchor wieder einmal: Von "What a wonderful world" und "Halleluya" gings über "Brazil" und "Hello, Mary Lou" über eine Schlager-Serie zu "Summertime", "Ill never smile again" und die "Moonlight Serenade", assistiert von der Herrenberger Combo "Cocktail", besetzt mit Klavier, Klarinette/Tenorsax, Schlagzeug und Kontrabass. Das hohe Niveau ist stets dabei, egal, ob Bach oder Bossa Nova gesungen wird. Christa Feige wählte ausgefeilte Arrangements, und der Chor bestach durch ausgewogenes, fast makelloses und "sprechendes" Singen.

Nur war dieses Mal davon wenig vernehmbar; auch nach einem Sitzplatzwechsel nach vorn gelangte nur ein vager Eindruck von dem sicherlich penibel einstudierten mehrstimmigen Gesang ans Ohr. Der Grund: die seitlich zwischen Chor und Publikum postierte Herrenberger Combo "Cocktail" dominierte, vor allem das Klavier, mitten im Raum mit der offenen Rückfront auf die Hörer ausgerichtet.

Auf diese Weise kam der junge, im Programm nicht genannte Jazzpianist wohl ungewollt zu ganz großen Auftritten - nicht nur in den beiden instrumentalen Combo-Einschüben aus Chacha, Samba, Rumba und den eher frei umspielten Oldies "In der Bar zum Krokodil", "Nur nicht aus Liebe weinen" und "Was machst du mit dem Knie lieber Hans", sondern auch in begleitender Funktion, und die 33 Sängerinnen und Sänger wurden von den vier Musikern über lange Strecken zum melodiösen Klangteppich degradiert.

Für diesen hätte allerdings auch ein- bis zweistimmiger Gesang nach Art der Fischer-Chöre gereicht, dazu bedarf es keiner anspruchsvollen Arrangements. Gerade um die harmonisch nuancenreich gesetzten und in ebensolcher Weise eigentlich klangschön vorgetragenen Chorsätze und Bearbeitungen war's schade.

A cappella oder mit dezenter Instrumentalbegleitung wären sie sicher stimmungsvoll zur Geltung gekommen, genauso die frechen alten Schlagertexte, die ganze Geschichten erzählen, von Bel ami und der kleinen Jane ("Schuld war nur der Bossa Nova"), die aber kaum verstehbar waren. Gerade die farbig fließenden Harmonieverläufe in "Summertime" oder der "Moonlight Serenade" wurde vom überlauten, durchgehend harten Klavierklang übertönt.

Schuld war nicht nur der Bossa Nova, auch nicht ausschließlich die Akustik, sondern nicht zuletzt das unangepasste Rollenverständnis des Mannes am Klavier. Er hielt sich nicht durchgehend an Verlauf und Harmonieschema der Stücke, sondern folgte frei seinem eigenen Weg und ließ sich improvisierend zu mancher Kollision mit den Chorsätzen hinreißen - als einziger bekennender Jazzer unter lauter Notengetreuen, der mit seinen auffälligen Eskapaden die Aufmerksamkeit anzog und manchen Zuhörer zu spontanem Jubeln und Johlen hinriss. Zum Schwofen oder im Jazzkeller mag das angehen, nicht aber, wenn ein Chor - samt Publikum - eine passende Begleitung zu anspruchsvollen Arrangements erwartet.

Dieser wiederum merkte womöglich gar nichts von dem musikalischen Ungleichgewicht im Zuhörerbereich und ließ sich seine beschwingte Ferienlaune nicht verderben. Lächelnd beschloss der Kammerchor mit "Moonlight Serenade" und einer lebhaft erklatschten Zugabe den Sommerabend.

Mit freundlicher Genehmigung der Südwestpresse