Konzert - Kammerchor singt in der Kreuzkirche
Mehr als Wohlklang
REUTLINGEN. Klangschönheit, Präzision, Begeisterung, Vielseitigkeit und Stilsicherheit:
Mit diesen Qualitäten - oder Tugenden - behauptet sich der Kammerchor Reutlingen seit
vielen Jahren auf einem Spitzenplatz. Diesen Rang und diese Beständigkeit hat er auch jetzt
mit seiner Leiterin Christa Feige in der Kreuzkirche unter Beweis gestellt. Wobei sich die
Deutlichkeit der Dirigentin harmonisch mit ihrer Impulsivität und mit ihrer Nähe zum Chor,
gleichsam zu jeder Sängerin und zu jedem Sänger, verbindet.
Erstaunlich war, wie mühelos sich der Kammerchor durch vier Jahrhunderte der
Musikgeschichte bewegt hat - und jeweils das Spezifische eines Werkes gestaltet und
übersetzt hat. Kompetenz in der Vielfalt also, aus der sich dann der spannend weite Bogen
und das Kontinuum einer musica sacra ergeben konnte, die sich in ihren Mitteln wandelt, aber
nicht in ihrem Ziel.
Die Motetten der alten Meister - Palestrina, Raselius, Schütz - singt der Chor klar und in edlen
Linien, aber nie statisch, sondern stets mit leichter Bewegung im Klang bis hin zu einer
Rhetorik ohne Zeigefinger, als hätten Christa Feige und ihre Sängerinnen und Sänger ein
Grundgebot historischer Musizierweise verinnerlicht, nach dem kein Ton genau dem anderen
gleichen soll. Dementsprechend lebendig und auch geistreich haben sich diese Wiedergaben
angehört.
Ernst Peppings große Evangelienmotette »Jesus und Nikodemus« singt der Chor im
Vollbesitz seiner A-cappella-Kultur: Rein und eindringlich wortstark bis hin zu einer
expressiven Schärfe, die aufrüttelt und diesem Zwiegespräch inhaltliche Tiefe und Brisanz
verleiht. Großartig, wie selbstständig hier die einzelnen Register agieren und doch zusammen
eine gemeinsame geistliche Bühne aufbauen.
Mendelssohns achtstimmige Motette »Schmücket das Fest mit Maien« wird weich und
fließend klangschön gesungen. Mit höhensicheren Sopranen, die das Ganze überstrahlen - und
dabei gelöst bleiben.
Zeitgenössische Stücke
Bei den zeitgenössischen Werken fiel der Enthusiasmus auf, mit dem sie gestaltet wurden.
Frisch und zügig und aus der Kraft des altmeisterlichen Satzes heraus erklangen die Werke
des Norwegers Knut Nystedt. In sanfte farbige Wohlklangwellen hüllte der Frauenchor das
»Alleluja« von Javier Busto aus dem Baskenland; die Wiedergabe wurde zu einem Juwel des
Abends. Im »Cantate Domino« von Vytautas Miskinis aus Litauen präsentierte sich ein swingender
Kammerchor, der kraftvoll und glanzvoll auftrat, aber auch am innig
schmelzenden Mittelteil seine Freude hatte.
Ulrich Feige an der kleinen Orgel und Peter Falk am Kontrabass gaben bei manchen Stücken
dem Chor von unten sicheren Halt oder musizierten auch mal ohne ihn. Mit wenigen
Registern sehr einfallsreich der Organist oder beide geschmackvoll im Umgang mit dem
abgespieltesten und trostreichsten Bach: »Jesus bleibet meine Freude«. (hdw)
Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers