Stimmen und Flöten
REUTLINGEN. Eine turbulente Zeit hat der Reutlinger Kammerchor hinter sich, mit mehreren Dirigentenwechseln in recht kurzer
Zeit. Nach Christa Feige kam Roman Schmid, nach dessen Rückzug wegen familiärer Probleme Christoph Mehner. Bei dem kleinen
geistlichen Konzert des Chors am Freitagabend in der Marienkirche konnte man sehen und hören, wie das Ensemble mit seinem
Dirigenten in kurzer Zeit zur Einheit zusammengewachsen ist – und wie Mehner, wie zuvor Schmid und Feige, seine ganz eigenen
Impulse setzt.
So musizierte der Chor diesmal nicht im Chorraum, sondern oben auf der Orgelempore, von Mehner vom Orgeltisch aus geleitet.
Das verlangte Mehner Artistisches ab: Mit der rechten Hand Orgel spielend, mit der Linken in lebhaften Gesten den Chor
leitend, stand er oft mehr am Instrument, als er saß. Und doch klappte das anstandslos. Später brauchte Mehner die Hände gar
nicht mehr von der Tastatur zu heben, dann genügte oft ein Blick, ein Nicken.
Anmutige Querflötenklänge
Doch nicht nur die Orgel sorgte für dezent gesetzte Farbtupfer; auch zwei Querflöten, gespielt von Barbara und Peter
Schlenker, schickten ihren schlanken, hellen Ton anmutig und beweglich in den Kirchenraum. Sie bereicherten die Chorsätze
und funkelten in mehreren Trios: so in einer leichtfüßig schwingenden Triosonate von Johann Joachim Quantz; in Gabriel Faurés
sanft im Melos wogendem »Cantique« Opus 11; und in einem Trio von Berlioz, das in wiegendem Dreiertakt ein Hirtenidyll ins
Gedächtnis ruft und im Mittelteil stürmisch galoppierend zur Jagd bläst. All das klingt klar in den Konturen, festlich im
Ton und unverkrampft im Linienspiel.
Und der Chor? Biegt von Anfang an in den schwungvollen Duktus des Dirigenten ein, erfreut sofort mit dem warmen, seidigen
Klang, der ihn auszeichnet. Im Bach-Chor »Fallt mit Danken« aus der vierten Kantate des Weihnachtsoratoriums fehlt bisweilen
die letzte Klarheit der Einsätze, aber das Ergebnis ist doch ansprechend. Samtweich abgerundet präsentiert sich der
Bach-Choral »Jesu richte mein Beginnen«. Und in Bachs »Ehre sei dir Gott gesungen« jubelt der Chor so spritzig, setzt die
Einsätze so knackig, dass es eine Freude ist.
Rutters innige Weihnachtslieder
Die fünf Weihnachtsgesänge von John Rutter am Ende sind dann erst recht wie maßgeschneidert für den Chor. Die beseelt ins
Weite schwingende Melodik, der innige Ton: alles wie geschaffen für dieses Ensemble. Und so sind »The Very Best Time of Year«,
»Shepherd’s Pipe Carol«, »Mary’s Lullaby«, »Star Carol« und »Christmas Lullaby« ein Fest zum Hören.
Nicht zu vergessen sind die zwei weihnachtlichen Geschichten des Autors und Theologen Dietrich Mendt, die Pfarrerin Sabine
Großhennig vortrug: mit der ihr eigenen Klarheit der Sprache und Wärme des Ausdrucks. Auch diese Rezitationen trugen zu der
eindrücklichen und innigen Atmosphäre dieses weihnachtlichen Konzerts bei. (akr)
Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers