Kammerchor in der Christuskirche

Herrliche Klangerlebnisse

VON DAGMAR VARADY

REUTLINGEN. Wenn man in dem ausgelegten Faltblatt über die vielfältige Ausbildung des neuen Chorleiters des Reutlinger Kammerchors, Marcel Martínez, las, dann bekam man seinen Eindruck am Freitagabend in der Reutlinger Christuskirche bestätigt. Dort gab er als neuer Leiter des Chors sein Debüt mit einem Passionskonzert in einfallsreicher Verpackung. Die musikalische Laufbahn Martínez’ besteht aus Kunstgeschichte- und Orgelstudium in seiner Heimatstadt Barcelona, dem Kirchenmusikstudium in Rottenburg und zurzeit auch noch dem Fach Musikwissenschaft in Tübingen. Das ist ein umfassender Weg, an Musik heranzugehen oder auch im nahe verwandten Bereich der Kunst seine Interessen zu verwirklichen.

Kenntnisreiches Singen

Das Gesamtbild, welches nun das Konzert vermittelt hat, passte gut zu diesem Eindruck: Martínez zeigte seine Leidenschaft für Musik durch sein vielfältiges Engagement und die Tatsache, dass er an dem Abend überall zu sein schien. Sein Konzept des Konzerts mit dem überzeugenden Titel »Passion erleben« war in der Tat von allen Seiten durchdacht. Es gab seitens des Chorleiters eine Konzerteinführung, Orgelstücke, Chorstücke, Ausschnitte aus Bibeltexten, Beleuchtungsakzente und an die Wand projizierte Bilder und Texte.

Die Zuhörer erlebten ein Rundumpaket der Passionszeit, umhüllt von Musik der Renaissance und des Barock aus Italien, Portugal und Spanien. Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag waren drei Blöcke, die jeweils von einem Orgelstück eingeleitet wurden. Martínez präsentierte Tientos von spanischen und portugiesischen Komponisten. Er spielte stilbewusst, geradlinig und – man kann es nicht anders bezeichnen – vollauf verstehend. Die eingestreuten Bibeltexte (vorgelesen von Chormitgliedern) waren passend und erläuternd gewählt und überbrückten zugleich die Zeit, die der Chorleiter brauchte, um von der Empore wieder zu seinem Chor zu gelangen.

Doch wie war die Interaktion von Dirigent und Chor und wie hat sich der Chor unter seiner neuen Führung entwickelt? Der Chor trat sehr homogen auf, ein kenntnisreiches Singen war fühlbar. In ihrem harmonischen Miteinander war die Freude und Spannung zu spüren, gepaart mit guter Aussprache und hoher Qualität des Klanges.

Tiefgründig und authentisch

Martínez’ Dirigat war so engagiert wie sein ganzes Auftreten. Mit weiten und hohen Armbewegungen übermittelte er seinen Sängerinnen und Sängern seine Schaffenslust. Die Werke von Manuel Cardoso, Giovanni da Palestrina oder Tomás Luis de Victoria lebten von dieser Gesinnung. Sogar kleine Unsicherheiten bei »Tristis est anima mea« von Carlo Gesualdo waren a ußer Acht zu lassen, da alles von großer Tiefgründigkeit und Authentizität lebte.

Dass der Chor nicht an einer Stelle festgewurzelt war, sondern prozessierte, von hinten, von der Seite oder von vorne sang und sogar einmal mitsamt dem Chorleiter um den Altar herum ein innig gemeintes Lob Jesus’ anstimmte, unterstrich den Reiz eines gut reflektierten Konzertes und ließ schöne Klangerlebnisse entstehen.

Der Reutlinger Kammerchor hat mit Marcel Martínez einen Glücksgriff getan. Das merkte man durchaus an diesem Konzept, das so voll Freude, Sinn und auch Arbeit steckte. (GEA)

Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers