Verneigung vor der Gregorianik
Konzert – Französisches vom Kammerchor
VON GABRIELE BÖHM
REUTLINGEN. Anleihen aus der Gregorianik bestimmten das Konzert mit Charles Gounods "Messe Chorale", das der Kammerchor
Reutlingen am Samstagabend in der Christuskirche aufführte. Das Publikum erlebte eine Musik von ursprünglicher Kraft und
Ästhetik, die der Chor mit sauberer Intonation und großem Einfühlungsvermögen umsetzte.
Zu Beginn gab Dirigent Marcel Martinez eine Einführung in die Geschichte der Gregorianik. Vielen Komponisten dienten die
erstmals im 7. Jahrhundert notierten Mönchsgesänge als Inspirationsquelle, erläuterte er. Doch ab dem 17. Jahrhundert seinen
sie zunehmend verfälscht worden. Daher habe man sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts bemüht, das Wesen der Gregorianik zu
rekonstruieren. In diese Zeit fiel ein Teil der vorgestellten Werke.
Das Konzert begann mit dem "Cantique de Jean Racine" von Gabriele Fauré (1845 - 1924). Der Text ("Gieße aus auf uns das Feuer
deiner machtvollen Gnade") basiert auf der Nachdichtung eines frühchristlichen Hymnus durch Racine im 17. Jahrhundert. Sehr
sensibel begann KMD Stefan Lust, der kurzfristig eingesprungen war, an der Orgel. Der Männerchor setzte ein, dann die
Frauenstimmen, alles zugleich demütig und leidenschaftlich; über allem schwebte die strahlend helle Sopranstimme.
Hauptwerk von Gounod
Das Hauptwerk des Abends, die "Messe Chorale" von Charles Gounod (1818 bis 1893), wurde in ihren Sätzen über den Abend
verteilt. Beim "Kyrie" begann die Orgel mit schweren, drohenden Klängen um vom Chor aufgegriffen und, wie um die Dunkelheit
zu vertreiben, harmonisch verwandelt zu werden. Das "Gloria" begann in gregorianischer Tradition mit einer einzelnen,
unbegleiteten Männerstimme, bevor sich die Chorstimmen in einem zuversichtlichen Lobpreis Gottes verwoben. Jubilierend
erklang das Glaubensbekenntnis "Credo", das verehrende "Sanctus" und das "Benedictus", bei dem die Orgel den energischen,
bestätigenden Schlusspunkt setzte. "Agnus Dei", "Lamm Gottes" setzte der Chor anrührend und mit großem Ernst um.
Auch Maurice Duruflé (1902 - 1986) griff mit seinen "Quatre Motets sur des thèmes grégoriens" die Gregorianik auf. Sein
"Ubi Caritas" und "Tantum ergo" transportiert die Hingabe der fühen christlichen Musik. Auch hier nahm sich der Chor Zeit,
die Töne auszukosten und lange klingen zu lassen und betonte dadurch den andachtsvollen Charakter.
"Notre Père" komponierte Duruflé wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 - 65), das sich für den Erhalt der
Gregorianik ausgesprochen hatte. Der Chor sang das Vaterunser mit Ruhe und Wärme. Der begeisterte Beifall sorgte noch für
eine Zugabe. (GEA)
Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers